Nacht der Ruinen von Cay Rademacher
- bookloving
- 17. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Gelungene Geschichtsvermittlung im Krimigewand

INHALT
März 1945: Amerikanische Verbände haben Köln erreicht. Trotz der Durchhalteparolen aus Berlin ist der Widerstand gering, die Stadt wie ausgestorben. Kaum mehr 20.000 Menschen leben in den Trümmern. Doch die Amerikaner erobern nur einen Teil der zerstörten Metropole, denn der Rhein bildet wochenlang die Front. Unlängst wurde die Domstadt noch einmal schwer bombardiert. Ein abgeschossener Pilot stürzte dabei mit seinem Fallschirm mitten hinein ins Chaos und wurde Opfer eines feigen Lynchmords. Nun soll der junge amerikanische Soldat Joe Salmon, eigentlich Joseph Salomon, ein Kölner Jude, der nach der Reichskristallnacht mit knapper Not in die USA emigrieren konnte, den Fall klären. Joe sucht den Mörder oder die Mörderin tatsächlich aber sucht er insgeheim noch zwei andere Menschen, die er einst in der Heimat zurücklassen musste: Jakub und Hilda, seinen besten Freund und die Frau, in die er hoffnungslos verliebt war. Auf verschlungenen Pfaden nähert Joe sich der Lösung des Falls und der eigenen Vergangenheit und begegnet dabei historischen Persönlichkeiten, die im März 1945 in Köln gelebt und gewirkt haben: George Orwell, Konrad Adenauer, Hans Habe, Irmgard Keun.
(Quelle: DUMONT Verlag - Erscheinungstermin 11.02.2025 - ISBN: 9783755800347)
MEINE MEINUNG
"Nacht der Ruinen" ist ein fesselnder historischer Kriminalroman von Cay Rademacher, der uns in die apokalyptische Welt des zerbombten Kölns in den letzten Kriegstagen des März 1945 entführt.
Rademacher verwebt geschickt seinen spannenden Kriminalfall mit dem beeindruckenden Porträt einer völlig zerstörten Stadt, in der eine gezeichnete und demoralisierte Bevölkerung in Trümmern haust und auf bessere Zeiten hofft.
Es entfaltet sich eine eindrucksvolle Geschichte mit Einblicken in eine durch die Nazi-Diktatur und den Krieg gezeichnete Metropole und einer Gesellschaft am Abgrund.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der junge US-amerikanische Soldat Joe Salmon, der in seine Geburtsstadt Köln zurückkehrt, aus der er 1938 aufgrund seiner jüdischen Wurzeln fliehen musste. Sein offizieller Auftrag, den Mord an einem über der Stadt abgeschossenen amerikanischen Piloten aufzuklären, bildet den Ausgangspunkt für seine Ermittlungen. Gleichzeitig versucht Joe heimlich, das Schicksal seiner einstigen Jugendfreunde - seiner heimlichen Liebe Hilda und seinem jüdischen Freundes Jabuk – zu ergründen, die er bei seiner Flucht aus Deutschland zurückgelassen hatte.
Mit seinem bildhaften, lebendigen Schreibstil gelingt es Rademacher hervorragend, ein stimmiges, authentisches Bild der zerstörten Schauplätze und erschütternden damaligen Zustände zu vermitteln. Eindrucksvoll führt er uns nicht nur die Schrecken des Krieges vor Augen, sondern auch den Zusammenbruch einer ganzen Gesellschaft. Sehr anschaulich portraitiert er die Stadt in Trümmern, geprägt von Hunger, unfassbarem Leid, unmenschliche Lebensbedingungen, florierende Schwarzmarktgeschäfte und Willkürakten. Geschickt fängt er die ambivalente Stimmungslage der verzweifelten Menschen im Überlebenskampf ein – während die einen trotz gemischter Gefühle einem Neubeginn hoffnungsvoll entgegensehen, begegnen wir anderen, die den alten Werten und NS-Gedankengut immer noch nachhängen und den Krieg längst nicht verloren sehen.
Rademachers Figuren sind sehr vielschichtig und lebensnah ausgearbeitet. Entsprechend ihrer Rollen verkörpern sie sehr glaubwürdig die verschiedenen Facetten der damaligen Nachkriegsgesellschaft -von Widerstandskämpfern und Zwangsarbeitern über Mitläufer bis hin zu überzeugten Nazis. Jeder Charakter trägt dazu bei, ein vielschichtiges Bild der menschlichen Verhaltensweisen in jener bewegten Zeit zu zeichnen. Sehr gelungen sind die Darstellungen der inneren Konflikte und ambivalenten Beweggründe der Charaktere, die zwischen Überlebenswillen, Verdrängung, Schuld, Verantwortung und ihrer Sehnsucht nach Normalität hin- und hergerissen sind. Besonders überzeugend ist auch der facettenreich ausgearbeitete Charakter von Joe, der als Ermittler zwischen militärischer Pflicht und privater Vergangenheitsbewältigung zuweilen moralisch fragwürdige Entscheidungen trifft.
Ein besonderes Highlight ist die Einbettung realer, historischer Persönlichkeiten wie der Kriegsreporter George Orwell, die Schriftstellerin Irmgard Keun sowie der berühmte Politiker Konrad Adenauer, die der eine zusätzliche authentische Note verleihen.
Gekonnt beleuchtet Rademacher in seinem Krimi existenzielle Themen und ergründet die Abgründe menschlicher Moral, die Vielschichtigkeit von Verrat und die Last der Schuld. Einfühlsam thematisiert er zudem die Herausforderungen der Vergangenheitsbewältigung, Aufarbeitung begangenen Unrechts sowie Vergebung und Wiedergutmachung in einer in ihren Grundfesten erschütterten Welt.
Joes vielschichtige Ermittlungen bleiben lange Zeit rätselhaft und undurchsichtig, was die Spannung neben geschickt platzierten Twists und unerwarteten Verwicklungen zusätzlich erhöht. Die Krimihandlung, die gekonnt in den historischen Kontext eingebettet ist, tritt zwar gelegentlich hinter den eindringlichen Schilderungen des Nachkriegsalltags zurück, doch gelingt es dem Autor hervorragend, mit der fesselnden historischen Atmosphäre und kriminalistischer Spannung bis zur letzten Seite zu fesseln. Am Ende fügen sich in der Auflösung alle Puzzleteilchen zu einem schlüssigen und überzeugenden Gesamtbild zusammen.
FAZIT
Ein gelungener historischer Kriminalroman – mit spannender Mordermittlung, authentischem Portrait des zerstörten Kölns und tiefen Einblicken in menschliche Abgründe.
Ein packendes Leseerlebnis, das Geschichte lebendig werden lässt und zum Nachdenken anregt.
BEWERTUNG

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