Wenn die Sonne untergeht - Familie Mann in Sanary von Florian Illies
- bookloving
- 16. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Nov.
Von Licht und Schatten - Ein lebendiges Porträt der zerrissenen Familie Mann im Exil

INHALT
Im glühend heißen Sommer 1933 spitzt sich die politische Lage in Europa zu - und die der Familie Mann: Thomas und Katia Mann und ihre sechs Kinder sind nach abenteuerlichen Fluchten im Juni in dem verträumten Hafenort Sanary am französischen Mittelmeer gestrandet. Und jetzt wissen sie alle weder vor noch zurück.
Ein Ort, eine Familie, drei Monate bei dreißig Grad – »Wenn die Sonne untergeht« ist eine große Familienaufstellung: Kaum im unsicheren südfranzösischen Exil angekommen, will Thomas Mann eigentlich sofort wieder zurück in seine edle Münchner Villa. Sein Bruder Heinrich hingegen genießt die Freiheit des Südens. Dazwischen die sechs Kinder von Thomas und Katia: Der eine, Michael, spielt Tag und Nacht Geige, der zweite, Klaus, gründet eine Exil-Zeitschrift, die dritte, Elisabeth, badet und genießt die Zeit ohne Schule. Erika, die älteste, führt Regie und schmuggelt den Besitz der Manns aus München über die Grenze, Golo holt das Geld von den Konten und versorgt den vergessenen Hund. Und Monika? Sie bleibt einfach am Strand von Sanary liegen.
Florian Illies erzählt von der Trauer um den Verlust der Heimat und des Besitzes, der Angst vor den Plünderungen der Nazis, von Trotz und Leidenschaft. Von Wehmut und vom Überlebenswillen, obwohl die alte Welt einzustürzen droht. Und er erzählt von der großen Zerreißprobe zwischen Klaus und Erika und ihrem Vater Thomas.
In Sanary ist diese außergewöhnliche Familie in einem absoluten Ausnahmezustand – alle werden das erste Mal gezwungen, sich zu bekennen. Zueinander. Zu Deutschland. Oder auch, so traurig es ist: Dagegen.
(Quelle: Argon– Erscheinungstermin 22.10.2025 - ISBN: 9783839822043 - Sprecher: Stephan Schad - Ungekürzte Version: 10 h 28 min)
MEINE MEINUNG
In „Wenn die Sonne untergeht“ ist es Florian Illies auf beeindruckende Weise gelungen, ein bemerkenswert vielschichtiges Panorama der ersten Monate des Exils der Familie Mann im Jahr 1933 zu zeichnen, die zugleich eine der herausfordernsten Phasen ihres Lebens darstellten. Beginnend mit 28. Hochzeitstag von Katia und Thomas Mann in München und ihrer geplanten Vortragsreise zu Richard Wagners 50. Todestag, begleiten wir die Familie auf ihrer unfreiwilligen Flucht ins Exil über einen Zeitraum von knapp drei Monaten. Nach Etappen in Amsterdam, Paris und der Schweiz finden sie über die Sommermonate in Sanary-sur-Mer an der französischen Côte d’Azur schließlich eine vorübergehende neue Heimat finden. Vor dem Hintergrund des sich durch die Nazis rasant radikalisierenden Deutschlands verwebt Illies eindrucksvoll nicht nur die persönlichen Schicksale und familiären Konflikte der Manns, sondern auch lebendige Alltagsskizzen und Begegnungen mit weiteren bekannten Künstlern im Exil wie Lion Feuchtwanger oder Stefan Zweig.
Basierend auf einer enormen Fülle an historischen Quellen, die Briefe, Tagebücher, Interviews und literarischen Werke der Familie Mann umfassen, gelingt es Illies mit seinem Collage-artigen Stil, diese in eine kunstvoll arrangierte, atmosphärisch dichte Chronik zu verwandeln. Die daraus entstandene, beeindruckend lebendige, fast filmisch anmutende Momentaufnahme erlaubt intime und sehr berührende Einblicke in die komplexen Familienverhältnisse. Aus unterschiedlichen Perspektiven erleben wir neben persönlichen Befindlichkeiten der so unterschiedlichen Familienmitglieder einen höchst labilen Familienverbund mit all den Enttäuschungen, Ängsten, Eitelkeiten und Hoffnungen.
Besonders eindrücklich ist die einfühlsame Auseinandersetzung mit den vielfältigen Auswirkungen, die das unfreiwillige Exil für die Manns mit sich bringt. Illies zeichnet Thomas Manns innere Zerrissenheit mit groem Feingefühl und in all ihren Facetten nach -seine schmerzhafte Trennung von der geliebten Heimat, sein beständiges Schwanken zwischen Entwurzelung, innerem Rückzug und einer vorsichtigen politischen und künstlerischen Haltung sowie dem Ringen um Zuversicht trotz ungewisser Zukunftsaussichten.
Der zarte, poetische und atmosphärisch dichte Schreibstil Illies’ steht in spannungsvollem Kontrast zur bedrückenden politischen Realität, die durch die aufkommende Naziherrschaft geprägt ist und die der Familie Mann zunehmend an zusetzt. Mit feiner Ironie und lakonischer Humor versteht es Illies zudem, gelungene Gegengewichte zur oft ernsten Grundstimmung zu setzen und immer wieder durch Momente verhaltener Lebensfreude und liebevoller Begebenheiten aufzulockern. Besonders überzeugend ist sein ausgeprägtes Gespür für atmosphärische Details und emotionale Zwischentöne.
So ist ihm eine faszinierende Verbindung aus sorgsam recherchierter historischer Betrachtung und berührender literarisch starker Erzählung gelungen, die stets eine ausgewogene Mischung aus persönlicher Nähe und historischer Distanz zu wahren versteht, und die vielschichtige Realität des Exils lebendig werden lässt.
Obwohl die Fülle an Details und der ständige Perspektivwechsel bisweilen herausfordernd sein knnen, bietet das Buch insgesamt aber eine fesselnde und sehr facettenreiche Darstellung von Thomas Manns Zeit im südfranzösischem Exil, und lädt zu weiterführenden Studien ein.
ZUM HÖRBUCH
Der Schauspieler Stephan Schad erweist sich als ideale Besetzung für die ungekürzte Hörbuchversion. Mit seiner angenehmen, einfühlsamen und markanten Stimme gelingt es ihm, die Hörer tief in die fesselnde Geschichte der Familie Mann zu ziehen und unterschiedlichste Schauplätze lebendig werden zu lassen. Durch feine Variationen in Tempo, Lautstärke und Dynamik fängt er die unterschiedlichen Stimmungen und emotionalen Nuancen gekonnt ein. Gekonnt macht er die melancholische, oft ironisch-humorvolle Grundstimmung spürbar ohne dabei die historische Dramatik zu schmälern. Schads souveräne Interpretation verleiht den Figuren individuelle Facetten, macht emotionale Zwischentöne hörbar und schafft so ein besonders intensives und bewegendes Hörerlebnis, das uns tief in die jene Zeit des Exils eintauchen lässt.
FAZIT
Eine hervorragend recherchierte und zugleich atmosphärisch dichte Erzählung über einen der schwierigsten Lebensabschnitte der Familie Mann – eindrucksvoll lebendig, facettenreich und authentisch dargestellt! Eine fesselnde und bereichernde Lektüre zum Abschluss Thomas Mann-Gedenkjahres.
BEWERTUNG

Rezensionsexemplar *UNBEZAHLTE WERBUNG*






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