top of page

Vater unser von Angela Lehner

Absolut empfehlenswerter Debütroman

INHALT Die Polizei hat sie hergebracht, in die psychiatrische Abteilung des alten Wiener Spitals. Nun erzählt sie dem Chefpsychiater Doktor Korb, warum es so kommen musste. Sie spricht vom Aufwachsen in der erzkatholischen Kärntner Dorfidylle. Vom Zusammenleben mit den Eltern und ihrem jüngeren Bruder Bernhard, den sie unbedingt retten will. Auf den Vater allerdings ist sie nicht gut zu sprechen. Töten will sie ihn am liebsten. Das behauptet sie zumindest. Denn manchmal ist die Frage nach Wahrheit oder Lüge selbst für den Leser nicht zu unterscheiden. In ihrem fulminanten Debüt lässt Angela Lehner eine Geistesgestörte auftreten, wie es sie noch nicht gegeben hat: hochkomisch, besserwisserisch und zutiefst manipulativ. (Quelle: Hanser Verlag)

MEINE MEINUNG Mit ihrem eindrucksvollen Roman „Vater unser“ hat die junge österreichische Schriftstellerin Angela Lehner ein brillantes und sehr ungewöhnliches Debüt voller bitterböser Einblicke und tragikomischer Momente vorgelegt – ein beeindruckendes Buch, das verwirrt, aufwühlt und äußerst nachdenklich stimmt. Im Mittelpunkt ihrer fesselnden Geschichte steht die außergewöhnliche Protagonistin und Ich-Erzählerin Eva Gruber, die einen rasch mit ihrer schlagfertigen, aufmüpfig-frechen und selbstironischen Art in ihren Bann zieht. Sehr unmittelbar haben wir Anteil an ihrer überbordenden Gefühls- und Gedankenwelt und amüsieren uns über ihren beißenden Humor und ihre erfrischend entlarvende, witzige Sicht auf Alltagssituationen und ihr psychiatrisches Klinikumfeld. Doch schon bald wird immer deutlicher, dass man der sympathischen, unkonventionellen und hochintelligente Protagonistin nicht so recht über den Weg trauen kann. Mit ihren variantenreichen Geschichten über die Hintergründe für ihren Klinikaufenthalt in der Psychiatrie und ihren persönliche Vergangenheit kommen allmählich immer mehr Zweifel an ihrer Wahrheitstreue und Glaubwürdigkeit auf. Immer weniger kann man zwischen Wahrheit oder Lüge unterscheiden und hinterfragt das angeblich so enge Verhältnis zu ihrem jüngeren, wegen Magersucht ebenfalls in der Klinik untergebrachten Bruder Bernhard, der ihr am liebsten aus dem Weg und angstvoll auf Abstand geht. Je weiter wir Eva in all ihren Facetten erleben, desto deutlich erkennen wir hinter ihrem widersprüchlichen Verhalten ihre angeschlagene Psyche und beginnen den Hintergrund für ihre provokante, manipulative Seite und den Grund für ihren Klinikaufenthalt zu erahnen. Schrittweise enthüllt die Autorin in eingestreuten Rückblenden fragmentarische Erlebnisse aus Evas Kindheit und Jugend und lässt uns dabei in menschliche Abgründe blicken. Allmählich offenbart sich dem Leser ein recht diffuses Bild einer zerrütteten, dysfunktionale Familie, von einem einengenden, lieblosen Familienleben und vom Katholizismus geprägten Zwängen zeichnen. Auch wenn die düsteren Hintergründe für die beklemmende, Familiengeschichte von Eva und Bernhard sehr vage bleiben, dringen wir immer mehr zum Kern ihrer kindlichen Traumata vor, die ihr Leben auf tragische Weise überschatten und die sich auf eine scheinbar übermächtige, untragbare und enttäuschende Vaterfigur zurückführen lassen. Erst im letzten Abschnitt des in drei Teilen angelegten Romans mit den Titeln „Der Vater“, „Der Sohn“ und „Der Heilige Geist“ erschließt sich dem Leser schlagartig deren Bedeutung und Tragweite. FAZIT Ein wahrhaft aufwühlender Roman, dessen außergewöhnliche Hauptfigur einen noch lange in Gedanken begleitet und dessen bewegendes, offenes Ende dem Leser verschiedene Deutungsansätze überlässt. Eine herausfordernde Lektüre und ein absolut empfehlenswerter Debütroman!

BEWERTUNG

Rezensionsexemplar *Unbezahlte Werbung*

Single post: Blog_Single_Post_Widget
bottom of page