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Wer die Toten stört von A. Rae Dunlap

  • bookloving
  • 21. Dez.
  • 4 Min. Lesezeit

Zwischen Leichen, Liebe und Moral – Ein fesselnder historischer Roman

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INHALT

Schottland, 1828. Der naive, aber unbeirrbare James Willoughby gibt sein behütetes Leben in Oxford auf, um in Edinburgh Medizin zu studieren. Die Universität der Stadt bietet alles - außer der Möglichkeit, an einem menschlichen Leichnam zu arbeiten und somit chirurgisches Wissen zu erlangen.

Nye MacKinnon, ein schneidiger junger Sezierer, verspricht James zu helfen. Doch Nye ist ein Grabräuber, ein Leichenfledderer.

Und James ist unwissentlich sein Komplize geworden. Schon bald geraten die beiden zwei besonders zwielichtigen Grabräubern namens Burke und Hare in die Quere, deren Nachschubbedarf an Toten so hoch ist, dass sie dafür bereit sind, über Leichen zu gehen ...


(Quelle: Lübbe - Erscheinungsdatum: 28.11.2025 - ISBN: 9783757701413 - Übersetzung aus dem Englischen: Axel Franken )





MEINE MEINUNG

Mit ihrem Debüt „Wer die Toten stört“ hat A. Rae Dunlap einen vielschichtigen historischen Spannungsroman vorgelegt, in dem dunkle Aspekte der Medizingeschichte, True-Crime-Elemente und eine zarte queere Liebesgeschichte geschickt miteinander verwoben sind. Die Handlung ist im Edinburgh des frühen 19. Jahrhunderts angesiedelt, wo die intensiven Anatomiestudien der Medizinstudenten in privaten medizinischen Instituten ungewöhnliche Praktiken eines florierenden Leichendiebstahls nach sich ziehen, um den stetig wachsenden Bedarf an Präparaten zu decken. Es entfaltet sich eine faszinierend düstere, vielschichte Geschichte vor historischem Hintergrund, die mit morbiden Szenen, nachdenklich stimmenden Passagen und humorvollen Episoden zu unterhalten weiß.

Im Mittelpunkt steht der junge Medizinstudent James aus einer verarmten englischen Adelsfamilie, der rückblickend erzählt und sich immer wieder direkt an uns Leser wendet, sodass wir an seinen Erlebnissen in Edinburgh sehr unmittelbar teilhaben. Um seine ehrgeizigen Zukunftspläne voranzutreiben und sein Studium weiter finanzieren zu können, geht er eine gewagte Zweckgemeinschaft mit dem charismatischen Anatomieassistenten und Grabräuber Aneurin ein und beteiligt sich an dubiosen nächtlichen Ausgrabungen der für die anatomische Ausbildung dringend benötigten Leichen.

Was aus existenzieller Not heraus als nüchterne Geschäftsbeziehung beginnt, entwickelt sich im Verlauf der abwechslungsreichen Handlung zu einem gefahrvollen Unterfangen, das James moralische Grenzen immer starker ins Wanken bringt. Der von Misstrauen, ethischen Zweifeln und Schuldgefühlen geplagte James spürt zunehmend eine Anziehung zu dem unnahbaren Aneurin. Aus der pragmatischen Zusammenarbeit heraus entsteht eine komplexe, von unausgesprochenen Gefühlen aufgeladene Beziehung, die sich zwischen Nähe und Distanz, Vertrauen und Selbstschutz bewegt.

Mit ihrem pointierten, bildreichen Schreibstil versteht es Dunlap, uns ins düstere Edinburgh des 19. Jahrhunderts zu entführen. Trotz der oft morbiden Grundstimmung sorgt ihr trockener, bisweilen schwarzer Humor immer wieder für humorvolle Momente und wohltuende Leichtigkeit.

Vor farbenprächtigem historischen Setting verwebt sie reale historische Hintergründe mit ihrer fiktiven Handlung zu einer spannenden und nachdenklich stimmenden Geschichte. So geht es nicht nur um die skurrilen Praktiken erfindungsreicher Grabräuber und eine erschütternde, historisch verbürgte Mordserie, sondern auch um Standesdünkel, Korruption und die dunklen Machenschaften der medizinischen Zunft jener Epoche.

Hervorragend gelingt es ihr durch lebendige Milieubeschreibungen, detailreiche Einblicke ins Alltagsleben sowie anschauliche Schilderungen des gesellschaftlichen Klimas, ein facettenreiches, glaubwürdiges Bild dieser ambivalenten Zeit zu entwerfen, in der wissenschaftlicher Fortschritt und moralische Verrohung eng miteinander verflochten waren.

Sehr spannend ist der Einblick in die Welt der frühen Medizin und die Philosophie des Männerbunds der sogenannten Auferstehungsmacher, die den Leichen durch ihren vermeintlich verwerflichen Einsatz ein zweites sinnvolles Leben verschaffen wollten. Die historischen Hintergründe und True-Crime-Aspekte rund um das berüchtigte Verbrecherduo Burke und Hare sind sorgfältig recherchiert und anschaulich in die Handlung eingebunden. Ein ausführliches Nachwort mit weiteren Details zur Vertiefung ist sehr gelungen.

Ob nun die gruseligen Details nächtlicher Leichenbergungen auf dem Friedhof, die kollegialen Zusammenkünfte der jungen Medizinstudenten in den schäbigen Kneipen oder das harte Leben der einfachen Bevölkerung, die mit Armut, Hunger und sozialer Ungerechtigkeiten ringt – all diese Facetten verwebt Dunlap zu einem stimmigen, sehr atmosphärischen Portrait jener Zeit. Eindringlich beleuchtet die Autorin nicht nur ethische Fragen und moralische Graubereiche rund um das Grabräubertum, sondern auch Machtstrukturen des Adels und starre gesellschaftliche Konventionen, die das Leben ihrer Hauptfiguren einengen.

Besonders gelungen sind die vielschichtig gestalteten Charaktere, allen voran der sympathische Protagonist James, dessen persönliche Entwicklung einfühlsam und überzeugend gezeichnet wird. Mit seiner Mischung aus Unsicherheit, Naivität, Idealismus und bemerkenswertem Talent in der Anatomie wächst er einem rasch ans Herz, sodass man ihn fast vor all den Abgründen seiner Welt beschützen möchte. Glaubwürdig werden sowohl seine Stärken als auch seine Verletzlichkeit, inneren Konflikte und moralischen Bedenken ausgelotet. Im Ringen um Freiheit und Selbstbestimmung setzt er sich mit großer Widerstandskraft über gesellschaftliche Zwänge und familiäre Erwartungen hinweg und wächst trotz vielfältiger Gefahren und möglicher Folgen seines Handelns immer mehr über sich hinaus.

Auch der geheimnisvolle, etwas finster wirkende Aneurin überzeugt mit seiner charismatischen, komplexen Persönlichkeit und seiner problematischen Vergangenheit. Er sieht sich ganz  dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und medizinischen Fortschritt verpflichtet, was ihn in heikle moralische Situationen treibt. Die Darstellung ihrer Gedanken- und Gefühlswelt ist nachvollziehbar und stimmig. Auch die Nebenfiguren sind entsprechend ihrer Funktion durchweg interessant und differenziert ausgestaltet und sorgen für Abwechslung.

Die komplexe Beziehung zwischen James und Aneurin bringt eine spannende Dynamik in die Handlung und ihre Wortgefechte sorgen selbst in makaberen Szenen immer wieder für charmante, humorvolle Momente. Die sich langsam entwickelnde Zuneigung wird dabei aber durch gesellschaftliche Barrieren und Klassenunterschiede herausgefordert, sodass sie in der Öffentlichkeit auf einen rein kameradschaftlichen Umgang bedacht sein müssen. Nach einem eher gemächlichen Einstieg, in dem zunächst das Setting, der medizinische Hintergrund und die innere Konflikte des Erzählers James eingeführt werden, zieht das Tempo allmählich an und die Handlung gewinnt spürbar an Dynamik. Der eigentliche True-Crime-Anteil tritt leider hinter der queeren Liebesgeschichte lange Zeit zurück und rückt erst im späteren Verlauf in den Vordergrund. Auch das hochspannende, fast filmreife Finale wird relativ knapp erzählt und hätte noch deutlich breiter ausgestaltet werden können.

Dennoch überzeugt die gut recherchierte, vielschichtige Geschichte nicht nur als queere Coming of Age Erzählung, sondern auch als spannender, auf wahren Begebenheiten beruhender Kriminalfall mit einem lebendigen Zeitporträt und aufschlussreichen Einblicken in die Medizingeschichte. Mit dem etwas offenen Ausklang macht sie zudem neugierig auf mögliche weitere Abenteuer von James und Aneurin im historischen London.


FAZIT

Ein atmosphärisch dichter historischer Roman, der subtile Schauermomente und ein eindrucksvolles Zeitkolorit mit Gay Romance, facettenreichen Charakteren und einer moralisch komplexen Thematik der Medizingeschichte überzeugend verbindet.

BEWERTUNG

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Rezensionsexemplar *UNBEZAHLTE WERBUNG*

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