Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten von Anna Maschik
- bookloving
- 3. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Eindrucksvoller Generationenroman

INHALT
Mit einem heimlich geschlachteten Schaf beginnt der Blick in die Innereien einer Familie. Hier rührt die Urgroßmutter das Blut für die Würste, der Großonkel schläft fünfzehn Jahre lang, und die Großmutter stiehlt nachts die Ziegel vom Dach. Am Ende steht die Urenkelin Alma und fügt die Einzelteile ihrer Familiengeschichte zusammen – vom kargen Alltag auf einem Bauernhof an der Nordsee über den Neuanfang nach dem Krieg bis in die Gegenwart, in der Alma das jüngste und einzig verbliebene Glied in der Kette ist. Behutsam werden die großen Linien des Lebens freigelegt: das ständige Werden und Vergehen und die Prägungen, die sich weitertragen zwischen den Generationen. Es ist eine Geschichte von bevorzugten Geschwistern, vom Scheitern am Schlaf und an der Sprache, von der Verwandlung in ein Möbel, einen Wolf, einen Zitronenbaum. Lakonisch und zugleich voll schwebender Magie erzählt sie davon, was Vorbestimmung ist und ob man ihr entkommen kann. (Quelle: Luchterhand - Erscheinungsdatum: 10.09.2025 - ISBN: 978-3-630-87814-0 )
MEINE MEINUNG
Mit ihrem Debüt „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ legt Anna Maschik einen äußerst eindrucksvollen und herausfordernden Roman vor, der die über ein ganzes Jahrhundert reichende Geschichte einer Familie erzählt, deren Wurzeln tief in der bäuerlichen Welt Norddeutschlands verankert sind.
Die Handlung spannt sich vom entbehrungsreichen Alltag Henrikes auf einem norddeutschen Bauernhof um 1900 über die Nachkriegszeit, bis in die Gegenwart zur Urenkelin Alma. Fasziniert von der Fremdheit dieser bäuerlichen Welt und der Magie, die den Erinnerungen innewohnt, versucht sie in den Überlieferungen und lückenhaften Geschichten die Spuren ihrer eigenen Herkunft zu finden und setzt so ihre Familiengeschichte Stück für Stück zusammen. Dabei entführt sie uns mit auf eine stimmungsvolle und zugleich verstörende Entdeckungsreise durch die Generationen ihrer Familie.
Anstelle einer konventionellen, chronologisch erzählten Familiengeschichte mit einer fortlaufenden Handlung setzt Maschik auf eine stark fragmentierte Erzählweise. Verschiedene nicht-lineare Episoden und collagenartig arrangierte Momentaufnahmen aus Erinnerungsfragmenten, pointierten Beobachtungen von Alltagsszenen und existenziellen Erfahrungen sowie kurzen Aufzählungen verdichten sich allmählich zu einem faszinierenden Geflecht mehrerer Generationen. Geschickt lässt sie in ihrer eindringlich erzählten, mysthisch angehauchten Familiengeschichte Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen und verwebt Alltägliches mit beinahe magischen Momenten.
Die zahlreichen Leerstellen fordern uns dazu heraus, eigenständig Verbindungen zwischen den einzelnen Fragmenten zu ziehen und dabei neben dem Offensichtlichen auch dem Schweigen und Ungesagten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Autorin verdeutlicht dabei gekonnt, dass sich unser Verständnis von Familiengeschichte und Herkunft nicht als einfache, durchgehende Erzählung begreifen lässt, sondern vielmehr als vielschichtiges, oft widersprüchliches Geflecht, das sich immer aus persönlich eingefärbten, fragmentarischen Erinnerungsstücken zusammensetzt. Nach und nach offenbaren sich eindrucksvoll die verborgenen Geheimnisse und komplexen inneren Strukturen der Familie.
Zudem zeigt sie auf, wie die Erlebnisse aus der Vergangenheit Spuren in einer Familie hinterlassen und bis in die Gegenwart weiterwirken. Einfühlsam thematisiert sie zugleich den Einfluss von Erinnerungen, Ritualen, Verlusten, Traumata und Prägungen auf die Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder.
Besonders faszinierend sind Maschiks eigenwilliger, nüchterner und dennoch poetischer Schreibstil sowie ihre beeindruckenden Sprachbilder, die auch in der beklemmenden Trostlosigkeit immer wieder bemerkenswerte Akzente setzen.
Maschik zeichnet das Innenleben und die Konflikte ihrer facettenreichen weiblichen Hauptfiguren sehr eindringlich. So zeigt sie ihre Unsicherheiten, Ängste und Zweifel ebenso wie auch ihren tiefen Wunsch nach Selbstbestimmung und Wandel. Gleichzeitig bleibt aber eine gewisse Distanz zu ihnen, die sie leider schwer greifbar macht. Ihre Schicksale sind von Brüchen geprägt und doch werden sie immer wieder unweigerlich von der sich wiederholenden Familiengeschichte eingeholt.
Maschik zeigt in ihrem vielschichtigen Roman eindrucksvoll, wie die Schatten der Vergangenheit die Gegenwart formen! Am Ende bleibt das Bild eines fragilen Netzwerkes aus Stimmen, Schweigen und Erinnerungen, das uns mit tief empfundener Nähe und Fremdheit zugleich zurücklässt.
Dieser faszinierende Roman lädt ein, die eigene Herkunft nicht als eindimensionale Erzählung, sondern als vielschichtiges Mysterium zu begreifen, dessen Rätsel nie ganz aufzulösen sind.
FAZIT
Maschiks literarisches Debüt ist ein atmosphärisch dichtes, formal herausforderndes Familienepos, das zum Nachdenken anregt und lange nachwirkt!
BEWERTUNG

Rezensionsexemplar *UNBEZAHLTE WERBUNG*
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